Zeitkapsel: Maschinenbau Herzog
Fotoreportage über ein ungewöhnliches Denkmal-Ensemble
Ein im Saarland einmaliges, denkmalgeschütztes Ensemble stellt die Werkstatt von Maschinenbau Herzog in Neunkirchen dar. Dietmar Schellin berichtet im Januar 2012 für den »Arbeitnehmer« (die Zeitschrift der Arbeitskammer des Saarlandes) über die Maschinen und den Menschen dahinter. Herzlichen Dank an Dietmar Schellin für die Erlaubnis, seinen Text an dieser Stelle veröffentlichen zu dürfen:
Wolfram Herzog schreitet durch den Maschinenpark seines Großvaters wie ein Schloßbesitzer durch sein Schloß. Dreißig Maschinenbaumaschinen brauchte Philipp Herzog, um sein Erfolgsmodell »Mehrzweck-Kreissäge für jeden Bedarf« zu bauen. »Herzog Maschinen Neunkirchen Saar« lieferte von 1929 bis 1982. Typ K5 stand in jedem zweiten Schuppen,ein tischähnliches kreischendes Ding. Aus einem schmalen Schlitz im Tisch ragte ein rasendes Sägeblatt, das sich durch ein Stück Holz bewegte wie durch Butter. Typ KL F4 kennt nicht jeder. Die konnte einfach alles: Bohren, Fräsen, Hobeln und halt auch Sägen. Der Großvater war ein Tüftler und Erfinder. Praktizierender Prophet des Mehrzweckgedankens, der die ganze Manufaktur durchzieht. Der Enkel Wolfram macht aus dem öligen Organismus jetzt ein Museum. Eigenwillige, kernige Typen, alle beide.
Die Ständerbohrmaschine der Gebr. Maden steht da wie eine Gazelle vor dem Sprung. Schwarz, schlank, elegant. Ein saarländisches Konstrukt der 20-er Jahre, der fast baugleiche Vorgänger war noch muskelbetrieben. Elegant nicht aus Gründen des Designs, sondern um Material zu sparen. Wolfram Herzog schmiert die Maschine, wirft den Elektromotor an und steuert mit einer Pedalkupplung den Transmissionsriemen. Wie der Ständerbohrer laufen fast alle Maschinen tadellos. Der Enkel hat sie genutzt und damit gepflegt. Wolfram Herzog möchte die »Zeitkapsel« in die Zukunft bringen.
Philipp Herzog hat sich 1929, auf dem Höhepunkt einer Weltwirtschaftskrise, selbständig gemacht. Hufschmied und Wagenschlosser hatte er gelernt, war Taxi gefahren, hat später Panzer repariert. Ein Allrounder, der sein eigenes Ding machen wollte. »Für das, was der Großvater gemacht hat, braucht man heute fünf Berufsbezeichnungen«, rühmt ihn der Enkel. Die komplett und intakt erhaltene Manufaktur des Philipp Herzog ist mehr als das Dokument der Technik- und Wirtschaftsgeschichte, das das Landesdenkmalamt in den Relikten sieht. Die graugrünen öligen Maschinen und auch der Enkel selbst verströmen die unverwechselbare Aura eines Weltwissens, das es so nur im Saarland gibt. Das unkomplizierte Talent zum erfinderischen Umgang mit Metallen. Das Talent zur laufenden Anpassung. Und die stoische Gewißheit, eigentlich alles selber zu können.
Die Nutstoßmaschine Marke »Somua« aus der »Usine Bouhey« im Burgund ist die Französin in der Herzog’schen »Zeitkapsel«. Andere kommen aus Spanien, England, Italien, aus dem Erzgebirge. Oben auf der Somua tanzt ein wuchtiges Ausgleichsgewicht auf und ab und gleicht den Elan von Schwungrad und Exzenter aus. Mit Kraft und Präzision fährt ein Stössel ins Innere eines Zylinders und schrämmt die Nut. Die Somua ist die elegante Elefantentante im Herzogschen Organismus. Der Tüflter hatte sie demontiert auf dem Schrottplatz entdeckt. Hat sie auf seinen grünen Pritschenwagen geladen, repariert und mit einem Motor versehen. Da lief sie wieder. 1856 – Baudelaire hatte gerade seine »Blumen des Bösen« veröffentlicht, Flaubert seine »Madame Bovary« – kaufte Monsieur Bouhey im Burgund eine Schmiede und schrieb Maschinenbaugeschichte. Erstmals konnte er Maschinenbauteile in Serie fabrizieren. Zwei Weltkriege hindurch lieferte die Firma Waffenteile auf Kriegsschauplätze. Kleines Beispiel, wie in der Neunkircher Maschinenmanufaktur sich europäische Geschichte abbildet.
Wolfram Herzog trägt sein Haar zur Zeit auf Mönch gebürstet. Hinten viel freier Hals. In seiner gelassen selbstbewußten Art erzählt er, wie er mit fünf, sechs Jahren beim Großvater in der Werkstatt unterwegs war. Das war einerseits nicht zu verhindern, andererseits nicht ganz ungefährlich, zwischen schweren, scharfen und sich bewegenden Gegenständen zu spielen. Sowas fordert auch heraus. Da will man anfassen, mittun, ausprobieren. Wie ein Kind in solcher Umgebung frühzeitig lernt, Gefahren einzuschätzen, wie es sich vollsaugt mit angewandter Metallurgie, das kann Wolfram Herzog wie sonst keiner erzählen. Den Denkmalschutz hat er vor Jahren einfach mal angerufen. Da kam dann auch jemand vorbei, hat fotografiert und eine Herstellerliste erbeten. Nach anderthalb Jahren flatterte ein Schreiben ins Haus: »Anhörung über die Eintragung nach § 6 Abs 2 des Saarländischen Denkmalschutzgesetzes«. Für den Enkel, der auf die Werkstatt aufgepaßt hat, in dem einsamen Bewußtsein, der Maschinenpark des Großvaters könnte mehr sein als eine Familienhinterlassenschaft, war das eine tiefe Bestätigung. Und zugleich ein Streich: der Denkmalschutz schützt ihn vor ganz anderen Behörden.
Mit der ihm eigenen Geduld räumt Wolfram Herzog jetzt den Krempel raus, stellt behutsam die Maschinen frei, bringt bockige Maschinen wieder zum Laufen. Aura ist auch eine Frage des Details. Er knüpft Kontakte zu renommierten Industriearchäologen. Mit seinem Museum hat er keine Eile. Den VW-Pritschenwagen, Bj. 1959, hat unlängst der Restaurateur abgeholt. Das einzige Straßenfahrzeug unter den saarländischen Denkmälern wird zerlegt, entlackt und wieder fahrbereit gemacht. Auf Anfrage ist der Enkel zu Führungen durch die Werkstatt seines Großvaters gerne bereit.
© Dietmar Schellin